Feike_Michael2Michael Feike ist bekennender Buddhist und zwar schon eine ganze Weile. Er war noch recht jung, als er sich zum ersten Mal intensiv mit wichtigen Lebensfragen auseinander gesetzt hat. Seine Erfahrungen auf dem Weg teilt er in seinem Buch „We will die – Buddhismus für Lebenshungrige„. Auch wenn ich mich persönlich keiner Religion und keinem Lehrer unterwerfen möchte, so empfinde ich viele philosophische und Psychologische Ansätze im Buddhismus als sehr wertvoll und hilfreich. „Wir müssen nicht auf jeden Gedankenzug, der vorbeifährt, aufspringen“, schreibt Michael in seinem Buch und er schildert sehr einfühlsam und anschaulich, warum es sich lohnt, Tag für Tag wieder für einige Zeit ganz in sich zu gehen und zu meditieren. Ich freue mich, dass er sich etwas Zeit genommen und mir ein paar Fragen beantwortet hat.

 

Michael, wann und wieso bist du zum Buddhismus gekommen?

Nun, als ich zwölf war schleppte mich der Vater meines besten Freundes mit zu einem tibetischen Lama und der überzeugte mich sofort. Er schien wirklich zuverkörpern worüber er sprach. Als uns kurz darauf in der Schule der Buddha und seine Lehre vorgestellt wurde, fühlte ich mich dieser Lehre schon sehr verbunden und ein Jahr danach, diesmal nahm mich die Mutter eines anderen Freundes mit dort hin, nahm ich dann spontan die „buddhistische Zuflucht“, sprich, ich bekannte mich formel zum Buddhadharma.

 

Was fasziniert dich daran? In welchen Punkten // Sichtweisen bereichert dich der Buddhismus besonders?

Was mich wohl zunächst überzeugte, war und ist die bestechende Logik. Schon der Buddha selbst wies darauf hin, dass für seine Schüler nur das relevant sei, was sie selbst durch eigenes Nachdenken und in der eigenen Erfahrung verifizieren können. Mir fällt es seit jeher schwer, irgend etwas einfach zu glauben. Das buddhistischer Lehrgebäude ist sehr klar formuliert und zumindest für mich sehr überzeugend und nachvollziehbar.
Darüber hinaus besticht der Buddhismus durch eine große Vielfalt an ganz praktischen Methoden. Unsere westliche Kultur betont in meinen Augen recht einseitig den Intellekt. Wir scheinen oft zu denken, das Sein sei mit dem Verstand zu begreifen und übersehen dabei, dass der Verstand nur innerhalb eines begrenzten Rahmens, bis zu einem gewissen Grad erfassen kann, was eigentlich los ist. Und selbst wenn wir etwas verstehen, bedeutet das nicht, dass wir unser Erkenntnis entsprechend wahrnehmen, fühlen und handeln.
Die Lehre des Buddhas ist gewissermaßen in erster Linie eine Psychologie, ein gut verifiziertes Set von bestimmten Methoden, die wirklich sehr nützlich und hilfreich sind, beim Versuch das eigene Leben besser zu verstehen und unnötiges Leid zu vermeiden.
Der Buddha läd uns zunächst dazu ein, unsere gewohnte Perspektive zu verändern und eine radikal andere Sicht einzunehmen und zwar aus der Erkenntnis heraus, das unsere Wahrnehmung der Welt ganz einfach falsch oder zumindest unvollständig ist und das diese fehlerhafte Wahrnehmung unserer Selbst und der uns umgebenden Welt die hauptsächliche Ursache für all unsere Probleme ist.
Hier sind für mich haupsächlich drei Konzepte von bedeutung: die Unbeständigkeit aller Phänomene, ihre grundsätzliche „Kernlosigkeit“, bzw. ihre wechselseitig abhängige, absolute Verbundenheit, sowie ihre grundlegende Makellosigkeit.
Aber derartige Konzepte sind eben nur von Bedeutung, wo sie tatsächlich ein leidfreieres Erleben erlauben und uns auf eine Weise handeln lassen, die weniger Probleme für uns selbst und alle anderen kreiert.
Daher ist der ganze Buddhismus sehr methodenorientiert und die zentrale Methode ist dass, was als „Meditation“ bezeichnet wird.

 

Du meditierst seit vielen Jahren – Buddhismus und Meditation gehören ja auch irgendwie zusammen. Oder gibt es bekennende Buddhisten, die nicht meditieren?

Buddhistische Praxis findet auf drei Ebenen statt. Dies sind die drei „Aktionsräume“ Sicht, Meditation und Handlung. Die Meditation ist hier von zentraler Bedeutung, da sie sozusagen die Brücke ist, die den Abgrund überbrückt, der sich oft auftut zwischen dem was wir verstehen und dem was wir tun. Meditation ist „Verdauung“ der Sichtweise. Ohne sie bleibt unser Verständnis ein konzeptuelles. Ich denke daher, dass buddhistisches Geistestraining nicht recht funktioniert ohne Meditation.
Ich kenne viele, die sich zum Buddhismus bekennen und für die Meditation nicht im Vordergrund steht, die sich mehr auf die ethischen Richtlinien oder auf das Studium der Philosophie und der Methaphysik konzentrieren. Tatsächlich bietet der Buddhismus mit Sicht, Meditation und Handlung (Ethik, Lebensführung) drei verschiedene Zugänge, die meinem persönlichen Verständnis nach jedoch eher drei Ebenen der selben Arbeit sind. Mir scheint daher Buddhismus ohne Meditation zumindest unvollständig.

 

Was genau bewirkt denn die Meditation bei dir?

Buddhistische Meditation hat grundsätzlich immer zwei Aspekte. Es geht immer darum, den Geist zu beruhigen und den Geist zu verstehen um Entspannung und Aufmerksamkeit. Meditation macht mich entspannter und aufmerksamer. Sie hilft mir dabei, mich selbst und die Welt besser zu verstehen und mein Handeln an diesem Verständnis auszurichten. Darüber hinaus ist sie tatsächlich DAS konstante Ereignis in meinem Leben. Egal was passiert, ich setz mich auf mein Kissen. Inmitten des bunten Aufs und Abs der Ereignisse steht ein zentrales Geschehen und alles was geschieht, kann sich drumherum ordnen und verliert seinen Schrecken und seine Macht.

 

Apropos Meditation: dazu gibt es ja mittlerweile auch unzählige Bücher und unterschiedlichste Ansätze. Oft hört man, es sei sinnvoll, sich whrend der Meditation immer wieder auf ein und dasselbe Objekt auszurichten. Es gibt bestimmte buddhistische Richtungen, die für ihre Wegbegleiter eine ganz spezielle Meditation anordnen, von der sie auch nicht abweichen. Dann hört man wieder, dass es durchaus sinnvoll ist, auch mal bewusst auf die aufkommenden Gefühle und Gedanken zu schauen, denn gerade „Anfängern“ wird es sicherlich schwer fallen, die Gedankenstrom während der Meditation einfach für eine Zeit komplett zu unterbrechen. Wie fange ich denn nun am besten an? Was ist richtig und
was ist falsch?

Ich denke es ist wichtig einen Ansatz zu finden, der einen persönlich anspricht. Ein Grund, warum so viele verschiedene Methoden gelehrt werden ist, dass es Menschen mit sehr verschiedenen Veranlagungen gibt. Wenn wir eine Methode gefunden haben, die uns entspricht, dann können wir damit üben. Wie gesagt, es geht immer um Entspannung und Aufmerksamkeit.
Am wichtigsten scheint mir, dass wir die jeweilige Methode wirklich verstehen. Irgend etwas zu üben, ohne zu wissen was wir da eigentlich genau tun und warum wir es tun ist Zeitverschwendung.
Gewöhnlich beginnen wir mit der „Entspannung“. Bevor unser Geist nicht zumindest ein wenig zur Ruhe kommt, fällt es schwer aufmerksam zu sein und klar zu sehen was sich von Moment zu Moment ereignet. Dieses Erkennen dessen was wirklich jetzt im Moment passiert ist gewissermaßen der Sinn der Übung.

 

Du schreibst in deinem Buch „We will die“, dass es besser ist, jeden Tag nur ein paar Minuten zu meditieren statt einmal in der Woche eine Stunde. Mal abgesehen davon, dass eine Stunde ohne „Training“ ja auch unglaublich lang ist 😉 … Warum ist das denn deiner Meinung nach besser?
 
Es ist wie beim Sport machen. Wenn ich z.B. mit dem Laufen beginnen will und ich fang damit an, gleich eine Stunde zu laufen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich recht bald wieder aufhören werde damit.
Zudem geht es in der Meditation ja auch darum, Gewohnheiten zu ändern; emotionale Gewohnheiten, Wahrnehmungsmuster – und wie das so ist, wenn wir Gewohnheiten ändern wollen, es funktioniert nur durch ein regelmäßiges Training. Es ist also meiner Erfahrung nach viel effizienter, regelmäßig kurz zu üben, als gelegentlich mal lange. Am wirkungsvollsten ist es jedoch natürlich regelmäßig lange zu üben – wenn wir dann nicht nach ein paar Wochen ganz mit der Übung aufhören.

 

Feike_Michael

Wenn ich das richtig in Erinnerung habe erwähnst du auch, dass du regelmäßig sehr zeitig aufstehst um dann tatsächlich zwei Stunden zu meditieren. Ich meditiere seit etwa einem Jahr regelmäßig, wobei es eben auch Tage gibt, an denen ich es nicht „schaffe“. Aber zwei Stunden sind für mich in weiter Ferne! Die Zeit könnte und würde ich mir nehmen, aber alleine bei dem Gedanken werde ich richtig hibbelig.

Ich habe nicht von Anfang an zwei Stunden meditiert, es wurde einfach mit der Zeit immer mehr.

 

Was würdest du sagen bringt es dir für dein Leben, so viele Stunden „versunken“ zu sein. Fällt es dir denn mittlerweile leicht oder gibt es auch Tage, an denen du „abbrichst“.
 
Natürlich fällt es mir manchmal leichter und manchmal weniger leicht. Tatsächlich hilft mir der Entschluss, jeden Tag zu üben, egal was passiert. Ich denke einfach nicht darüber nach, muss mich nicht jeden Tag wieder entscheiden, sondern ich setz mich einfach hin, so wie ich jeden Tag meine Zähne putze, esse und mich irgendwann schlafen lege. Es ist auch nicht so wichtig, wie die Meditation so läuft – auch wenn ich mal wenig entspannt und unaufmerksam bin – am nächsten Tag setz ich mich ja wieder hin.

 

Es gibt ja auch Meditationsretreats. Wie kann man sich das vorstellen. Sitzt man da tatsächlich stundenrund zusammen in einem Raum und schweigt?

Ich habe nicht besonders viele und auch keine sehr langen Retreats hinter mir, aber ja – man sitzt da tatsächlich Stunden, Tage und manchmal Wochen allein und/oder gemeinsam und schweigt, bzw. rezitiert einen bestimmten Text… und alles tut irgendwann weh und man geht durch Himmel und Hölle und es ist tatsächlich heilsam, löst aber meiner Ansicht nach unsere Probleme nicht. Ich bin Leuten begegnet, die waren drei Jahre lang im Retreat, d.h. mindestens zehn Stunden Meditation am Tag, drei Jahre lang! Und die hatten durchaus noch den ganz normalen Wahnsinn am Start, das komplette neurotische Programm.

 

Noch zwei letzte Fragen zum Thema Meditation: Was hat es mit der „Erleuchtung“ auf sich und gibt es ein, zwei besondere Erlebnisse, die du während deiner Meditationen hattest?

Der Begriff „Erleuchtung“ hat immer weniger Bedeutung für mich. Ich übe immer weniger auf ein Ziel hin orientiert. Meine Übung ist wie waschen und essen. Ich tue es einfach jeden Tag wieder. Es reicht nicht, mich einmal gründlich zu säubern und mir einmal ordentlich den Magen voll zu schlagen um dann für immer immer und ewig satt und sauber zu sein – ich muss es immer und immer wieder tun.
Man erlebt dann schon mal sehr ruhige, klare Momente, aber die sind in der Regel genau so flüchtig wie alle anderen Erfahrungen.

Es geht in dieser Übung gar nicht um besondere Erlebnisse, sondern darum, zu lernen, mit dem was gerade ist klarzukommen ohne wie gewohnt auf eine Weise zu reagieren, die Probleme für uns und andere schafft.

 

Ach, noch ein zwei allerletzte Fragen ;-): Ist Meditation eigentlich etwas, was man schon mit Kindern machen kann / sollte? Meditierst du mit deinen Kindern?

Ich denke wenn Kinder Interesse zeigen können wir mit ihnen meditieren – kurz und spielerisch. Meine Kinder nehmen natürlich wahr, was ich da tue, es ist ganz normal für sie, das ihr Vater jeden Tag in seinem Raum auf seinem Kissen sitzt. Manchmal kommen sie rein um etwas zu fragen und manchmal setzten sie sich kurz dazu. Vielleicht werden sie irgendwann selbst etwas ähnliches praktizieren, vielleicht auch nicht.

 

Wie sieht der gelebte Buddhismus in eurem Familienleben aus?

Da hängen diese bunten Abbildungen an den Wänden, der Vater zieht sich regelmäßig in seinen Raum zurück und verschwindet ab und an für eine Woche weil er zu seinem Guru geht… wir waren zusammen zwei Monate in Indien, da war meine Tochter vier Jahre alt …
Vor allem aber dreht sich unser Leben nicht um Besitz, Status etc. sondern die zentralen Themen sind Freundlichkeit, Gewaltlosigkeit (d.h. nicht, dass mein Sohn sich nicht auf dem Schulhof rauft, aber er ist grundsätzlich sehr empathisch, hilfsbereit und aufmerksam).

 

Vielen Dank, lieber Michael. für diese interessanten Anregungen und Einblicke!

 

Fotonachweis: © Ernst Prade