Auch das fünfte Yama – Aparigraha (Nicht greifen / Nicht besitzen) – wird sehr vielfältig übersetzt. Im Grunde möchte dieses Yama daran erinnern, sich in (Besitz-)Bescheidenheit zu üben und mehr im Sein verankert zu sein als im Haben.

Ralph Skuban (Pantanjalis Yoga-Sutra) übersetzt es so:

„Wer in Nicht-Greifen gefestigt ist, erkennt den Grund der Existenz“.

 

Das fünfte und letzte Yama auf dem achtgliedrigen Pfad von Patañjali – beschreibt die Fähigkeit, etwas loslassen zu können oder anders ausgedrückt das Nicht-Festhalten-Wollen. Die Fähigkeit, mit dem Leben und seinen Begebenheiten mitzufließen.

Die Natur und der Kreislauf der Jahreszeiten macht es uns so schön vor. Auch wir müssen lernen, im übertragenen Sinne nicht an der Freude, am Reichtum, an der ewigen Jugend zu Klammern, sondern uns anzupassen. Mitzufließen mit dem Leben. Die Strahlen und Wärme des Sommers ziehen lassen und den Herbst mit seiner Farbenvielfalt und den dunkleren und kühleren Tagen willkommen zu heißen. Eben „Zufrieden sein mit dem, was ist“ (siehe auch Sam(n)tosha, das zweite Niyama).

Wenn wir gierig werden, uns mit unseren Besitztümern, unseren Erfolgen, Beziehungen, Titeln, Aussehen, Jungsein … identifizieren, immer mehr davon haben wollen, dann sind wir im Ego gefangen und das behindert den spirituellen Fluss. Denn wir werden nichts davon halten können, so sehr wir auch versuchen, uns daran festzuklammern.

„Wenn es keine Begierde mehr gibt, die den Verstand verrückt macht, kann die Liebe wahrhaftig, voll und ganz sein.“ (SaiBaba)

 

Aparigraha ist eng mit Asteya, dem dritten Yama, verbunden – ergänzt es vielleicht nochmal etwas. Wenn wir zu sehr nach etwas Greifen, etwas Stehlen, was uns nicht gehört, horten …. – dann hat das mit dem Mangelempfinden in uns zu tun. Hier meldet sich wieder der Bettler in uns, das Schattenkind, das alte Ego – oder wie auch immer man diesen „Mangelzustand“ benennen möchte.

„Das Anhäufen von Schätzen macht uns zu Dieben“ (Tao Te King)

 

Auch hier passt wieder wunderbar der „Bettler-Part“ meines Poetry-Slams:

„[…] War ein Bettler sondergleichen,
war mir selbst nie genug.
Hatte immer zu wenig von allem – es
fühlte sich an wie Betrug.
Und dann kamst du,
VinYasa, nahmst mich einfach an die Hand
und
bist mit mir
durch das Leben getanzt.
Hast mir gezeigt, dass es genug ist,
einfach zu sein statt
nach mehr und immer mehr zu
schrein.
Nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, Erfolg, Liebe und Geld –
denn all das ist auch nur flüchtig und nicht die Welt. […]“

Und hier habe ich noch eine wundervolle passende Zen-Geschichte gefunden:

Der König und der Bettler

Auf einem Rundgang durch seine Hauptstadt begegnete der König einem Bettler.
„Wenn Du mir etwas geben willst“, sagte der Bettler zum König, „dann musst du dich an meine Bedingung halten“.
Der König war verblüfft. Er kannte viele Bettler, aber einer, der ihm Bedingungen stellen wollte, war ihm noch nie begegnet. Er schaute dem Mann in die Augen und spürte, dass er eine starke Ausstrahlung hatte. Merkwürdig! Dieser Bettler hatte Power und Charisma.
Tatsächlich war der Bettler gar kein Bettler, sondern ein Sufi-Mystiker, aber das ahnte der König nicht.
„Was meinst du mit »Bedingung«?“ fragte der König und der Bettler antwortete: „Ich nehme dein Almosen nur an, wenn es dir gelingt, meinen Bettelnapf bis zum Rand zu füllen.“
Der König glaubte, sich verhört zu haben. Der Bettelnapf war klein. Wollte sich der Bettler über ihn lustig machen?
„Wie kommst du denn auf die Idee, dass ich deinen kleinen dreckigen Bettelnapf nicht voll kriege!“ fragte der König scharf. „Ich bin doch kein Bettler, so wie du!“
Der Bettler lächelte und sagte: „Es ist besser, wenn ich dich warne, bevor du es versuchst und vielleicht Probleme kriegst.“
Was zum Teufel bildete sich dieser Bettler ein? Der König war neugierig und wütend geworden. Er befahl seinem Wesir: „Mach diesen Bettelnapf voll!“
Der Wesir eilte in den Palast, kehrte nach ein paar Minuten mit eine Tasche voller Edelsteinen zurück und warf sie in den Bettelnapf.
Da passierte etwas merkwürdiges: Die Edelsteine verschwanden in dem Bettelnapf so schnell, wie der Wesir sie hineinwarf!
„Weiter!“ rief der König. „Mehr!“ Er war außer sich vor Erstaunen und Wut. Er wollte um keinen Preis in der Welt nachgeben und dem Bettler einen Triumph gönnen.
Der Wesir eilte in den Palast zurück und holte mehr Edelsteine. Aber auch sie verschwanden in dem Napf des Bettlers. Jetzt verlor der König seinen Verstand. Er war bereit, sein ganzes Königreich aufs Spiel zu setzen. Der Bettler durfte einfach nicht gewinnen! „Mehr!“ schrie er und der Wesir eilte davon und holte mehr Edelsteine, immer mehr, bis die Schatzkammer leer war.
So verschwand das ganze Vermögen des Königs und der Staatsschatz in dem kleinen Bettelnapf. Und am Ende war der König genau so arm wie der Bettler.
Jetzt endlich kam der König wieder zur Vernunft. Er verbeugte sich vor dem Bettler. „Ich habe dich beleidigt“, sagte er. „Bitte vergib mir. Und bevor du gehst, verrate mir bitte das Geheimnis deines Bettelnapfes. Wie kommt es, dass alle meine Schätze in ihm verschwunden sind?“
Der Bettler lachte und sagte: „Ich habe den Napf aus dem gleichen Stoff gemacht, aus dem das menschliche Ego gemacht ist. Das Ego kann nie genug kriegen. Was immer du ihm gibst – es verschwindet. Es ist nie erfüllt.“
Die Geschichte habe ich gefunden auf hierundjetzt.de.

 

Freue dich an „kleinen“ Dingen

Zugegebener Maßen ist es nicht ganz leicht, diesen „Bettler“ loszuwerden. Unsere konsumorientiere Gesellschaft und die unzähligen Reize der medialen Welt machen es nicht einfacher.

Wenn wir uns genau betrachten, werden wir feststellen, dass auch wir durch die sensorischen Reize der medialen Welt im Netz der konsum-und leistungsorientierten Gesellschaft verhaftet und an Besitz und Haben, Vergnügen und Genuss gebunden sind. Das ist nicht wertend gemeint, sondern schlichtweg eine Feststellung …
Um sich aus den Fängen zu lösen, braucht es Geduld, Bewusstsein und auch jede Menge Willenskraft (Tapas – das dritte Niyama).

Ein paar alltagstaugliche Tipps, die vom Haben zum Sein führen, habe ich schon im Beitrag über Asteya gegeben.

Besinne dich immer wieder auf das kleine Glück. Schule dich darin, Dankbarkeit zu kultivieren und Freude zu spüren. Vertraue auf deine Intuition und überdenke deine Glaubenssätze.

 

Hinterfrage deine Glaubenssätze

Wenn immer noch Glaubenssätze dieser Art in dir rumspuken

„Ohne Fleiß kein Preis“
„Das Leben ist kein Ponyhof / kein Wunschkonzert“
„Von nichts kommt nichts“
„Ohne Fleiß kein Preis“
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“
„Ich bin nicht gut genug“
„Keiner sieht/hört/liebt mich …“
„Ich schadde das nicht“

wird es Zeit, erstmal hier nicht mehr festzuhalten und sie ziehen zu lassen. Wenn du diese alten Kamellen ablegst, dann wird der Bettler auch automatisch ruhiger.

Yoga und Meditation helfen uns dabei, aus dem unreflektierten Tun rauszukommen und einfach mal nur zu sein. Bewusstsein zu entwickeln.

 

Erlaube dir zwischendurch, einfach mal nur zu sein …

Nach einer schönen Yogastunden, einer ausgiebigen Meditation komme ich oft mit einem Lächeln raus. Ich fühle mich ganz ohne Grund einfach gut, und das, ohne etwas geleistet zu haben! Einfach, weil ich bin.

„Einfach nur mit dem Atem mit fließen. Einfach sein – sonst nichts. Stille. Friede. Freiheit.“ (Kerstin Klimenta)

Das sind die Momente wahrer Freude, die an nichts gebunden ist außer am „nackten“ Sein. Nur Sein.

 

Festhalten ist sinnlos

In unserer schnelllebigen Konsum- und leistungsorientierten Gesellschaft wird uns gezeigt, dass wir erst noch etwas werden müssen und dem rennen wir wie bekloppt hinterher … Wir sind permanent im TUN um etwas zu werden und vergessen dabei, dass schon etwas großartiges und einzigartiges sind.

Immer höher, immer schneller, immer weiter. Immer das im Blick, was fehlt und noch nicht „gut genug“ ist.

Wir folgen fremden Ansprüchen und machen sie uns zu eigen, was Kraft und Energie raubt.

Wenn wir erstmal auf der „Erfolgsleiter“ sind, wollen wir immer mehr und auch die Ansprüche werden immer höher.

Nicht selten kommt dann irgendwann der Knall und Fall in Form eines Burn-Outs oder einer anderen Krankheit / Schicksalsschalg, der uns bewusst macht, dass das „Höher, schneller weiter“, nicht der Sinn des Lebens sein kann und wir hier an nichts – wirklich NICHTS – festhalten können.

Nicht selten wird aus diesem Fluch ein wahrer Segen, denn so ein „Paukenschlag“ fördert unser Bewusstsein und auch die Stärke, um uns allmählich aus den Fängen dieses Netzes zu befreien.

 

So kommst du raus aus dem Hamsterrad!

Yoga ist ein Weg dahin. Die Yamas und Niyamas zu kultivieren ist ein Weg dahin. Immer mehr nach innen statt nach außen zu schauen ist ein Weg dahin.

Schreibe deine Erfolgsstory selbst und lasse dir nicht von anderen einreden, wie Erfolg auszusehen hat.

Schaue immer wieder, was du brauchst und wo du loslassen kannst … Frage dich häufiger: ist es notwendig? Brauche ich es wirklich? Muss ich dieses und jenes jetzt wirklich tun. Und für wen mache ich das und warum?

Das immer wieder wieder zu fragen bedeutet, innzuhalten. Die dahinter stehende Motivation zu überprüfen und den Bettler dahinter zu erkennen. Sobald ich ihn sehe, er mir bewusst wird, kann ich viel leichter loslassen.

 

Natürlich wird auch mir – und das nicht erst beim Schreiben dieses Textes – bewusst, dass mich dieses klebrige Netz immer wieder einfängt, mein Bettler sich immer wieder zeigt. Es ist aber schon viel gewonnen, das zu erkennen …

Sicherlich mag es Menschen geben, die es schaffen, sich von heute auf morgen aus diesen Fängen zu lösen, aber für viele – so auch für mich – ist es ein Weg. Mal leicht, mal schwer, mal geht´s bergauf, dann wieder bergab, mal gehe ich schnell, dann wieder langsamer, geradeaus und auch wieder mit vielen Schlenkern. Manchmal laufe ich auch wieder zurück. So ist es eben, aber ich liebe diesen Weg. Einfach, weil es meiner ist.

 

Und wenn du dich gerade fragst, warum ich eigentlich blogge (das habe ich mich auch gerade gefragt, denn das „kostet“ viel Zeit und Geld verdiene ich keins …. ), dann kommt hier die ehrliche Antwort: Das Schreiben tut mir gut <3! Tatsächlich blogge ich ein erster Linie für mich. Ich reflektiere so besser, beschäftige mich ernsthafter mit Themen, die mir wichtig sind, verstehe noch einmal anders und ermuntere mich selbst immer wieder, am Ball zu bleiben. Ich „“be-greife“ so besser, erinnere mich immer wieder am das, was ich eigenlich möchte und das ist nichts weiter als einfach leben. Einfach nur Sein.

Und wenn es dich zufällig berührt oder inspiriert, freut mich das. Einfach so.

 

Bis bald und Namasté!

 

 

 

P.S. Und das alte Ego freut sich immer über einen lieben Kommentar oder ein Like für meine Facebookseite ;-). Und manchmal ist es auch ganz schön mit ihm, dem alten Nervsack!